Zauberhafte Handgeschichten

Leseprobe 01

Die Wohlfühlzauberbank 05

Weißt du, was geschieht, wenn ein Mensch die Erde wieder verlässt? Ihr sagt dazu, jemand sei gestorben, wie in eurer Familie die Mami gestorben ist, aber stell dir mal vor, da sitzen ein Körper und ein Lebenslicht auf deiner Bank. Der Körper sieht aus wie ein Mensch, seine Heimat ist die Erde. Dann gibt es noch das Lebenslicht, das ein strahlender Engel ist. Seine Heimat ist der Himmel. Der Körper auf der Bank kann sich aber nicht bewegen oder etwas tun, denn das leuchtende Lebenslicht, das ihn lebendig machen würde, wohnt ja nicht in ihm. So sitzt auch das Lebenslicht allein neben dem Körper auf der Bank und möchte wissen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen fühlen, wie es ist, zu schmecken oder zu riechen, wie es ist, fröhlich zu sein oder traurig zu sein und wie es ist, mit einem Körper zu tanzen, zu springen und zu lachen. Wenn sich nun das Leben aus dem Himmel mit dem Körper von der Erde vereint, dann wird daraus ein lebendiger Mensch. Dieser 

Annelie Staudt: Zauberhafte Handgeschichten

1. Auflage, Dezember 2019

Softcover, A5

104 Seiten

ISBN 978-3-943313-15-4

Annelie Hansen: Zauberhafte Handgeschichten

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nun lebendige Mensch-Lichtkörper kann dann sehen, riechen, fühlen, schmecken, denken, laufen, fallen und noch viel, viel mehr. Der Körper und das Lebenslicht erleben nun den Lebensweg auf der Erde gemeinsam und wenn ihre Zeit um ist, dann kehren der Körper und auch das Licht getrennt voneinander wieder in die eigene Heimat zurück. Das Lebenslicht lebt dann mit vielen Aufgaben wieder als ein Engel im Himmel weiter und der Körper vereinigt sich wieder mit seiner Heimat, der Erde. Wenn wieder ein neues Lebenslicht auf die Erde möchte, dann formt es sich einen neuen Körper, der dann wieder als ein Baby im Bauch einer Mutter heranwächst. Dabei ist der Körper die äußere Hülle, die man sehen kann. Der Lebenslichtkörper, den man auch das Leben nennt, ist das Innere des neuen Erdenbürgers. Deine Mama hatte einen Körper, aus dem ihr Lichtkörper ausziehen durfte, weil der Körper so krank war. Die Mama ist mit ihrem Licht-Körper in ihre Heimat, in den Himmel, zurückgekehrt. Wenn du tief in dein Herz hinein horchst, dann kannst du ihre ganze Liebe zu dir fühlen. Liebe Sanika, für heute war das alles, was ich dir mitteilen wollte. Mit-teilen, heißt, ich teile mit dir, was ich weiß und schenke es dir, zu deinem Gebrauch. Du kannst dein Wissen wieder mit anderen teilen, wenn du es möchtest, verstehst du? Gehe jetzt zu deiner lieben Oma, die schon am Fenster auf dich wartet und erzähle ihr und auch deinem Papa, was du gesehen und erlebt hast, ja? Sage ihnen, es ist in Ordnung, wenn ihr traurig seid, dass eure Mama nicht mehr sichtbar bei euch ist. Aber sage ihnen auch, dass die Mama nur unsichtbar ist, weil sie jetzt wieder ein Lebenslichtkörper ist. Die Mama lässt euch mit der ganzen Liebe aus ihrem Lebenslichtkörper grüßen.“ Kimjackin hat Sanika die ganze Zeit konzentriert zugehört, um auch ja nichts zu versäumen, was sie erzählt. Sanika verabschiedet sich höflich von ihm und seiner Mutter und läuft mit getröstetem Herzen nach Hause zu ihrer Oma. Mit einem Mal geraten die Menschen an der Bank in Aufregung. Lautes Schimpfen ist zu hören und jemand weint. Kimjackin drängt sich nun durch die Menschenmenge zur Bank, um nachzusehen, was dort los ist. Sein Blick fällt auf die Bank, die nun wieder wie alle anderen Bänke aussieht, ganz grau und überhaupt nicht schön. Deswegen also sind die Leute so aufgebracht. Jemand ruft: „Alles Schwindel und Betrug!“ Viele sagen, dass sie auch noch so gerne auf der bunten Wunderbank gesessen hätten. Auch Kimjackin ist verwundert darüber, wie sich alles so verändert hat. Er fragt sich, wie das denn wohl passiert sein konnte. Und er selbst ist auch ganz schön enttäuscht. Doch seine Mutter nimmt ihn tröstend an die Hand und setzt sich mit ihm zusammen auf die Bank. Sie legt ihren Arm um seine Schultern und streichelt sein Haar, um ihn aufzurichten. Aber, was ist das? Könnt ihr euch denken, was in dem Moment geschieht? Na, denkt doch einmal ganz scharf nach! Na, klar! Die Bank funktioniert eben nur, wenn Kimjackin auf ihr sitzt und eine kurze Zeit danach noch, nachdem er auf ihr gesessen hat. Alle Menschen, die bei der Bank geblieben sind, hoffen nun natürlich, dass Kimjackin jetzt noch lange bleibt, bis alle auf der Bank Platz genommen haben. Er freut sich mit den Menschen, die nun wieder fröhlich sind, wenn sie auf der Bank sitzen. Eine ganze Weile später, es ist schon fast Abend, sagt er zu seiner Mutter: „Mami, ich möchte jetzt wieder nach Hause gehen.“ „Ja, komm, lass uns gehen, es ist genug für heute“, antwortet sie. Er springt auf, nimmt sie an die Hand und sie verlassen die Bank, die kurze Zeit später natürlich wieder wie alle anderen Bänke im Park aussieht. Die vielen Menschen, die noch darauf warten, dass sie sich in Kimjackins Beisein ebenfalls auf die Bank setzen dürfen, bitten ihn, doch noch ein bisschen zu bleiben. „Ich möchte aber nach Hause, sonst müsste ich ja noch ewig hier bleiben, es kommen ja immer wieder neue Menschen her. Außerdem saß ich doch schon den ganzen Nachmittag hier.“ „Ja, jetzt ist Schluss“, sagt seine Mutter, „sonst hat das nie ein Ende. Komm, lass uns gehen, wir wollen Papa von unserem aufregenden Tag erzählen.“ Die Menschen aber wollen sie nicht gehen lassen und stellen sich ihnen in den Weg, um Kimjackin nun dringlich zu bitten, sich doch bitte, bitte noch einmal für eine kurze Zeit auf die Bank zu setzen. „Ich bin wirklich müde. Ich will jetzt nach Hause, könnt ihr das nicht verstehen? Lasst mich bitte durch! Ihr könnt ja morgen wiederkommen, dann setze ich mich wieder eine Weile für euch auf die Wohlfühlzauberbank.“ Mit diesen Worten dreht er sich um und sagt: „Mami, jetzt gehen wir aber wirklich!“ Als die letzten Menschen gegangen sind, komme ich mir in meinem „Versteck“ einsam vor. Unsichtbar und ganz allein bei der Bank, das ist doch etwas öde, zumal es jetzt auch langsam dunkel wird. Die rote Bank mit den weißen Tupfen ist für mich, auf der unsichtbaren Seite, immer noch sichtbar. Warum kann ich die Farben auf dieser Seite noch sehen und warum ist sie auf der anderen Seite grau, frage ich mich. Ob mir wohl Hi-Hui dazu etwas sagen kann? „Ich rufe dich Hi-Hui, gib mir bitte eine Antwort darauf!“ „Dein ursprünglicher Wunsch war es doch, einmal die Welt von einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen, nicht wahr? Durch deinen eigenen Wunsch kamst du dann hier her“, erklärt sie, „danach wünschtest du dir eine schöne Farbe für die triste graue Bank. Daraufhin bekamst du die Farbe und den Pinsel. Der Pinsel bin ich, Hi-Hui, die Pinsel-Dame, die alle deine Wünsche erfüllt, unter der Bedingung, dass du eine Situation, die du begonnen hast, auch zu Ende durchstehen musst. Das war doch so weit richtig, nicht wahr? Mit dieser Bedingung warst du einverstanden, kannst du dich erinnern?“ „Ja“, sage ich etwas widerwillig, „ja, das kann ich.“ „Später batest du mich, dass ich dem Jungen Kimjackin all seine guten Wünsche erfülle. Weißt du das noch? Der kleine Kimjackin hat ein reines Kinderherz und wünschte sich, dass alle Menschen, die sich auf die schöne bunte Bank setzten, ihre Herzenswünsche zu ihrem Wohl erfüllt bekommen sollten. Der kleine Kimjackin hat einen so starken Glauben an das Gute, dass all die Wünsche der anderen Menschen auf der Parkbank mit in Erfüllung gehen. Deswegen verschwindet jedes Mal die Farbe, wenn er die Wohlfühlzauberbank verlässt.“ [...] (mehr)