Zauberhafte Handgeschichten

Leseprobe 01

Die Wohlfühlzauberbank 06

„Ja“, sage ich nun schon etwas einsichtiger, „ja, daran erinnere ich mich auch noch.“ „Alles klar?“, fragt sie. „Ja, so ziemlich, aber wie werde ich jetzt wieder sichtbar, kannst du mir das bitte einmal erklären?“ „Du musst noch warten, bis Kimjackin den Wunsch, dass andere Menschen ihr Glück auf der Parkbank finden, wieder abgeben möchte, und das kann eventuell noch etwas dauern.“ „Warum?“, frage ich. „Ja, aus dem einfachen Grund, weil ich dich doch extra darauf aufmerksam gemacht hatte, dass du die Situation, die du begonnen hast, erst zu Ende führen musst, bevor du wieder zurück in die sichtbare Welt kannst.“ Oha, mir schwant nichts Gutes! Ihr ahnt es? „Aber an so etwas habe ich beim besten Willen nicht gedacht, als ich mich fest darauf einließ“, protestiere ich. „Alles halb so schlimm“, sagt Hi-Hui, „sei nicht traurig, ich bin bei dir und helfe dir doch weiter. Du hast ja noch so viele andere Möglichkeiten, dich auf der unsichtbaren Ebene zu

Annelie Staudt: Zauberhafte Handgeschichten

1. Auflage, Dezember 2019

Softcover, A5

104 Seiten

ISBN 978-3-943313-15-4

Annelie Hansen: Zauberhafte Handgeschichten

14,95 €

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bewegen! Das kann sehr interessant sein. Wenn du dich hier einmal umsehen möchtest, kann es gleich losgehen.“ „Nein, nein, nein, bloß nicht! Sonst sitze ich möglicherweise wieder irgendwo in einer Situation fest, die ich nun ebenfalls nicht bedenke, und dann kann ich vielleicht nie wieder zurück in mein Leben als Geschichtenschreiberin. Nein, den Fehler will ich nicht noch einmal machen!“ Hi-Hui lacht und erklärt mir dann: „So ist das nun auch wieder nicht. Hier bist du ja bereits unsichtbar, also kannst du es durch eine andere Situation nicht noch einmal werden, verstehst du?“ „Ach ja, das habe ich nicht bedacht. Dann sieht die Sache ja anders aus. Dann könnte ich mir ja die Zeit, bis Kimjackin sich wieder auf die Parkbank begibt, noch mit neuen Abenteuern vertreiben. Was könnte ich denn zu Beispiel anfangen?“ „Als Geschichtenschreiberin könntest du dich in eine Märchenwelt wünschen oder was auch immer! Ich erfülle dir alle Wünsche, wenn sie niemandem schaden, das ist die einzige Bedingung. Ansonsten kannst du von einer in die nächste Geschichte wechseln, auch ohne zu mir zurückzukehren.“ Kimjackin hat seinem Papa zu Hause so viel zu erzählen, dass es sehr spät wird, bevor sie alle schlafen gehen. Sein Papa hat aber nicht recht glauben können, was die Mami und Kimjackin ihm erzählten. Sie nehmen es ihm aber nicht krumm, denn die Geschichte hört sich ja auch wirklich wie ein Märchen an. Beim Einschlafen denkt Kimjackin: „Morgen ist Samstag, da braucht Papa nicht zur Arbeit gehen und dann kann er es ja selbst miterleben, wenn er denn tatsächlich mit uns zur Wohlfühlzauberbank in den Park kommt.“ „Hi-Hui, sag mir doch bitte zunächst, ob ich irgendetwas vergessen habe, was zu bedenken wäre.“ „Gern doch, aber du hast nichts vergessen“, antwortet die Pinsel-Dame. „Dann wünsche ich mir, in einem grünen Wald zu sein, bei hellem Sonnenschein und herrlichem Vogelgezwitscher – inmitten von blühenden Buschwindröschen und Kuckucksklee.“ Kaum habe ich meinen Wunsch zu Ende gesprochen, da befinde ich mich auch schon in einem sonnigen Wald, zwischen Kuckucksklee und Buschwindröschen, und die Vögel geben ein Konzert zum Besten. Der zauberhafte Duft des Waldes erinnert mich an meine frühe Jungendzeit, als wir Kinder mit unserem Opa sonntags durch den Frühlingswald spazierten. Er erzählte uns damals Geschichten aus seiner Jugend, zum Beispiel, dass er im Sommer stets barfuß in die Schule ging, oder wie streng die Lehrer in seiner Jugend waren und dass auch die Kinder bei der Ernte helfen mussten und so weiter. Neugierig sehe ich mich um, um herauszufinden, wo ich überhaupt bin. Große Bäume stehen um mich herum und ganz in der Nähe ist ein schmaler Pfad. „Nun, wenn ich denn schon einmal hier bin, dann mache ich mich doch einfach auf den Weg, das Gelände zu erkunden“, denke ich mir. Immer weiter gehe ich den Pfad entlang, als ich mit einem Mal ein Kind singen höre: „La, la, laa, la, la laa ...“ Ich gehe in die Richtung, aus der ich den Gesang vermute, und es dauert nicht lange, da gelange ich an einen tiefer gelegenen Weiher, an dessen Ufer ein singendes Mädchen sitzt und gerade seine Füße badet. „Hallo, ich grüße dich“, sage ich. „Guten Tag“, sagt sie und steht auf. Sie nimmt mich an die Hand und zieht mich hinter sich her. „Was hast du mit mir vor?“, frage ich. „Ich führe dich zu unserem Dorf, in dem schon alle auf dich warten“, sagt sie. „Warum warten alle auf mich? Es konnte doch gar niemand wissen, dass ich hierher kommen würde. Ich wusste es selbst doch nicht“, sage ich und folge ihr weiter an der Hand in die Richtung, in die sie mich unablässig zieht. „Unsere weise Eule“, erklärt sie, „hat uns erzählt, dass ein großer Mensch aus einer anderen Welt zu uns kommen würde, um uns kleinen Waldmenschen zu helfen.“ „Helfen“, frage ich, „wobei?“ „Um uns zu helfen, unseren Brunnen freizulegen, der beim letzten Sturm von einem Baum verschüttet wurde. Unsere Familien können dort seitdem kein Wasser mehr holen. Wir müssen immer zuerst den langen Weg in den Wald gehen, um hier am Weiher Wasser für unsere Familien zu holen.“ Noch immer zieht sie mich an der Hand hinter sich her durch den Wald. „Unsere Eule sagt stets die Wahrheit. Sie hilft und beschützt uns“, fährt sie fort. „Sie erzählte, du kämest aus dem Land der Riesenmenschen und wärest, gezwungenermaßen, etwas länger bei uns zu Besuch und zwar bis ein kleiner Junge namens Kimjackin dich aus der für euch sonst unsichtbaren Welt erlöst“, wobei sie mit einem Mal stehen bleibt, mich ansieht und sagt: „Sie sagte, du könntest uns bei der schweren Arbeit helfen, den Brunnen wieder freizulegen.“ Ich schaue das Mädchen ganz verblüfft an und frage: „Woher will die Eule denn all das wissen?“ „Das ist doch ganz einfach“, gibt sie mir zur Antwort. „Weise Tiere wie unsere Eule können in alle Welten der sichtbaren und unsichtbaren Ebenen fliegen. Wenn sie aus den anderen Welten zurückkommt, erzählt sie uns, was sie erlebt, gesehen und gehört hat. Im Gegensatz zu euch haben wir bei uns nämlich keine Apparate, die uns mit bewegten Bildern informieren, aber wir hören unserer weisen Eule immer sehr aufmerksam zu, wenn sie Geschichten davon erzählt, was in eurer Welt vor sich geht. Hast du in deiner Riesenwelt denn nicht auch schon einmal unsere weise Eule gesehen?“ [...] (mehr)