Zauberhafte Handgeschichten

Leseprobe 01

Die Wohlfühlzauberbank 08

Ich spüre wie mein Herz aufgeregt in meiner Brust klopft und ich bin gespannt, was wohl passieren wird. Nun tippt sie mit ihrem Zeigefinger auf die Mitte ihrer Zunge und führt diesen Finger dann an die Baumrinde. Ich kann es nicht fassen: Von innen nach außen tut sich ein riesiges Lichttor am Stamme des Baumes auf, leuchtend, hell und warm. Es ist einfach zauberhaft und die Waldbewohner laden mich sogar dazu ein, mit ihnen in das Lichttor zu gehen. Das Tor ist so außerordentlich groß, dass ich tatsächlich ohne Mühe hinein gehen kann. Als wir uns dann alle im Inneren des Lichtbaumes befinden, schließt sich die Borke des Baumes wieder. In diesem Baum fühle ich solch eine Geborgenheit, dass mir vor Freude die Tränen kommen. Von innen ist der Baum noch viel größer als von außen und es hat den Anschein, dass dasselbe Dorf, das draußen im Wald steht, hier drinnen noch einmal existiert. Noch mehr staune ich, als ich entdecke, dass ich durch den Baum 

Annelie Staudt: Zauberhafte Handgeschichten

1. Auflage, Dezember 2019

Softcover, A5

104 Seiten

ISBN 978-3-943313-15-4

Annelie Hansen: Zauberhafte Handgeschichten

14,95 €

  • verfügbar
  • Lieferzeit: circa 14 Tage

nach draußen sehen kann. Ich schaue einfach durch alles hindurch – unfassbar! Und das ganze Dorf, das dort draußen steht, wird vor meinen eigenen Augen nach und nach einfach unsichtbar. „Wie prima“, denke ich, „von drinnen können sie immer beobachten, ob eine Gefahr vorüber ist, wenn sie sich hier verstecken müssen.“ Ich bin froh, dass ich dieses Geheimnis erfahren durfte. Die weise Eule erzählt mir, sie könne jederzeit, ohne das Tor zu öffnen, hinein und hinaus fliegen, für sie gäbe es keine Begrenzungen. Auch dürfte sie als einzige von den Großmenschen gesehen werden. „Wenn die Menschen mich, die weise Eule der kleinen Waldmenschen, draußen beobachten, dann denken sie, ich sei eine ganz gewöhnliche Eule. Sie wissen ja nicht, dass ich eine besondere Eule bin und das ist auch gut so. Aber ihr Kinder, die ihr diese Geschichte lest oder hört, ihr wisst es jetzt besser, nicht wahr? Ihr müsst wissen, dass ich ein unscheinbares Kennzeichen an meiner linken Schnabelseite trage, und zwar ist es ein kleiner Brillant, der funkelt, wenn Licht auf ihn fällt. An dem könnt ihr mich erkennen.“ Dann verstummt die Eule und horcht für einige Augenblicke in sich hinein. Schließlich sagt sie: „Nun, liebe Geschichtenschreiberin, für dich habe ich jetzt eine Botschaft, und zwar von Hi-Hui. Mit ihrer Gedankenkraft hat sie mir eine Nachricht übermittelt. Hi-Hui lässt dir sagen, dass Kimjackin gerade auf dem Weg in den Stadtpark ist, um heute sein Versprechen einzulösen. Wenn du weiter verfolgen möchtest, was an der Wohlfühlzauberbank geschieht, dann wäre es jetzt an der Zeit, dich von diesem Platz und seinen Bewohnern zu verabschieden und dich wieder in den Park zurück zu wünschen.“ Natürlich will ich zurück in den Park, obwohl es mir bei den kleinen Waldmenschen auch sehr gut gefällt. Alles in allem war es ein wunderschönes Erlebnis, das mir die Wartezeit auf angenehmste Weise überbrückt hat, bis nun Kimjackin mit seinen Wünschen zur Bank zurückkehrt. Ihr erinnert euch ja bestimmt, dass ich mein Wunschrecht abgetreten hatte, an Kimjackins Wünsche, und dass ich in der Unsichtbarkeit so lange warten muss, bis Kimjackin seinerseits das Wünschen wieder abgeben wird. Dann erst habe ich das Recht dazu, mir zu wünschen, wieder in meine sichtbare Welt zurückzukehren. Zum Abschied umarmen mich die Waldbewohner herzlich und es tut mir ein bisschen leid zu gehen, denn es ist absolut bezaubernd bei ihnen gewesen. „Auf Wiedersehen, meine lieben Freunde“, sage ich. „Vielen lieben Dank für euer Vertrauen und für die Liebe, mit der ihr mich aufgenommen habt. Und danke auch, dass ich euer Geheimnis erfahren durfte. Ich will sehen, dass es mir gelingt, eure Geschichte zu verschlüsseln, damit alle Kinder sie in einem Buch lesen oder vorgelesen bekommen können. Tschüss, ihr Lieben.“ Dann rufe ich: „Hi-Hui, ich möchte zurück in den Park!“ Kaum habe ich diesen Wunsch zu Ende gesprochen, da bin ich auch schon an der Bank im Park, wo bereits ein paar Menschen auf Kimjackin warten. Es ist ein eigenartiges Gefühl, von jenem geheimen Platz im Wald zurück in diese Welt zu kommen, einfach so, wie mit einem Schnipp. Schnipp – und schon bist du da! Ich sehe, wie die Eule gerade auf einen hohen Baum fliegt und sich auf einen dicken Ast setzt. Sie zwinkert mir mit ihren großen Augen zu, als wollte sie sagen: „Siehst du, in dieser Welt bin ich auch zu Hause.“ Als dann die Eule ihren Kopf ein wenig zur Seite neigt, da sehe ich an ihrer linken Schnabelseite etwas blinken, ihr wisst schon was, nicht wahr? „Da kommt er, lasst uns ihm entgegen gehen“, höre ich die Menschen rufen. In freudiger Erwartung stürmen sie auf Kimjackin und seine Mutter zu. Von allen Seiten reden sie auf ihn ein. Kimjackin ist das sehr unangenehm. Fragend sieht er seine Mutter an, denn er weiß nicht, wie er sich verhalten soll. „Hab nur keine Angst“, sagt sie. „Oder wollen wir vielleicht lieber doch wieder nach Hause gehen, was meinst du?“ „Nein, ich hatte doch versprochen, wieder hierher zu kommen, und dieses Versprechen will ich auch halten.“ „Mach das, mein Lieber“, sagt sie, „mach, was dein Herz dir sagt. Das ist immer das Beste und ich bin ja auch bei dir.“ Als sie dann zusammen mit den vielen Menschen an der Bank angekommen sind, stellt sich Kimjackin neben die Bank und ruft: „Seid doch alle mal still, bitte, ich möchte euch etwas sagen!“ Mit einem Mal sind alle still, damit sie auch ja jedes Wort verstehen können, das er ihnen zu sagen hat. „Ihr lieben Menschen, ich habe euch versprochen, heute hier zu sein, damit ihr auf der Bank sitzen könnt, um eure geheimsten Wünsche erfüllt zu bekommen. Gleich werde ich mich auf die graue Bank setzen und ich hoffe, dass alles noch so funktioniert wie es gestern war. Ich bitte euch, nicht zu drängeln.“ Dann setzt er sich zusammen mit seiner Mutter auf die noch graue Bank. „Ah“, höre ich die Menschen erleichtert raunen, denn das Wunder von gestern scheint sich fortzusetzen. Die rote Farbe und die weißen Punkte sind wieder zu sehen. Alle blicken auf Kimjackin und sind gespannt auf das, was nun wohl geschehen wird. Als ersten wählt Kimjackin einen Schuljungen mit hängenden Schultern aus, der in Begleitung eines Mannes, vermutlich seines Vaters, gekommen ist. Sie sind die ersten, die sich auf die Bank setzen dürfen. Der Junge mit den hängenden Schultern traut sich zuerst fast gar nicht, auf der Bank Platz zu nehmen, so schüchtern ist er. Der größte Wunsch seines Herzens ist es, in der Schule nicht mehr der dicke, unsportliche und dumme Junge mit den schlechten Noten zu sein. Er will auch gerne so beliebt sein und so gut lernen wie die anderen Jungen in seiner Klasse. Und er will nicht mehr verspottet und gehänselt werden. Auf der Bank, so hofft er, würden sich seine Probleme lösen. Ihm gegenüber im Baum sitzt die weise Eule und ich höre, wie sie jetzt in seinem Herzen zu ihm spricht. Nun verstehe ich, warum sie hier ist. „Hallo, mein lieber Reik, ich, die weise Eule, grüße dich. Da staunst du, was? Du kannst ab jetzt in der Sprache des Herzens mit mir reden. Wir beide kommunizieren jetzt von Herz zu Herz, so lange, wie du auf der wundervollen Wohlfühlzauberbank sitzt. Alles, was wir beide hier bereden, bleibt unser Geheimnis.“ [...] (mehr)