Zauberhafte Handgeschichten

Leseprobe 01

Die Wohlfühlzauberbank 09

Der kleine Junge namens Reik ist erstaunt, aber auch froh darüber, dass er die weise Eule in seinem Herzen hören kann. „Großen Kummer und Traurigkeit bringst du mit“, sagt die Eule. „Ich sage dir, du bist ein sehr guter Junge, egal, was die anderen denken oder sagen. Lass mich dir eine Geschichte über deine Zukunft erzählen“, fährt sie fort. „Ich weiß, dass du später einmal die Aufgabe haben wirst, Kindern zu helfen, damit sie nicht so traurig sein müssen, wie du es heute bist.“ „Wie soll das denn gehen? Das kann ich nicht glauben“, sagt Reik. „Ich habe ja selbst Angst vor den Menschen, sie hänseln und verspotten mich, versuchen mich auf die Palme zu bringen, damit ich wütend werde und ihnen einen Grund gebe, mich dann zu verprügeln, aber ich will mich nicht mit ihnen schlagen. Doch deshalb halten sie mich für einen Schwächling. Was ich auch mache, es ist alles falsch, egal wie gut meine Absichten auch sind. Ich bin so sehr traurig darüber, und nicht einmal die Lehrer

Annelie Staudt: Zauberhafte Handgeschichten

1. Auflage, Dezember 2019

Softcover, A5

104 Seiten

ISBN 978-3-943313-15-4

Annelie Hansen: Zauberhafte Handgeschichten

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halten zu mir.“ „Mein lieber Reik, ich fühle deinen tiefen Schmerz und ich weiß, wie du leidest. Du weißt, dass du ein gutes Herz hast und ich weiß, dass du ein gutes Herz hast, das ist sehr, sehr wichtig. Versuche mir zu vertrauen, dass ich das Beste für dich will, bei dem, was ich dir sage. Höre mir noch mal gut zu, bitte!“ Die weise Eule spricht jetzt langsam und mit Bedacht zu Reik. „Ich habe dich von Herzen lieb. Und ich weiß ganz gewiss, dass das, was dich heute traurig macht, auch eine gute Seite hat, die du heute noch nicht verstehen kannst. Vertraue mir, ich kann wirklich in deine Zukunft sehen. Du wirst wirklich, später einmal, ein sehr guter Helfer und Lehrer für andere Kinder sein. Du wirst gebraucht, jetzt und in der Zukunft. Was dir heute falsch erscheint, wird sich später umkehren, ins Gute, zu deinem Vorteil, weil du viel daraus gelernt hast. Jeder Mensch, auch du, kann eine Sache nur so gut machen, wie er sie selbst versteht. Manche Menschen finden eine Sache blöd, die du gut findest. Andererseits findest du einige Sachen blöd, die andere gut finden. In Wirklichkeit ist weder die eine noch die andere Sache blöd, wenn du sie ganz neutral und ohne Bewertung betrachtest. Unsere Bewertung einer Angelegenheit macht diese Sache erst blöd. Wenn wir in unseren Gefühlen verletzt sind, dann empfinden wir eine Sache erst einmal als unangenehm und blöd, weil wir lieber ein gutes Gefühl hätten. So lernen wir zu unterscheiden, was sich angenehm und was sich unangenehm anfühlt. Wir können beobachten, was die Gefühle mit uns machen. Wir lernen, was wir mögen und was wir nicht mögen, was schmerzt und was gut tut, was Lachen oder Weinen ausmacht, was Ablehnung oder Angenommensein ausmacht. So lernen wir in allen Lebensbereichen unsere Gefühle kennen. Du lernst, wie es sich anfühlt, wenn man in der Schule nicht so gut lernt, wie es ist, nicht so beliebt zu sein, wie viel Angst man hat, nicht akzeptiert zu werden, weil man angeblich so dumm ist. Aber du bist nicht dumm. Du hast immer wieder so viel Liebe in deinem Herzen, die dir Mut macht, deinen Weg weiterzugehen. Ja, es ist ein sehr schweres Lernprogramm, das du in diesem Schuljahr lernst. Oft war es den Schülern, die dich ärgerten, nicht einmal bewusst, wie weh sie dir taten, weil sie nicht darüber nachdachten, was du fühlst. Sie hatten ihre Herzenstür verschlossen. Bald, wenn du dieses schwere Schuljahr überstanden hast, wird alles leichter für dich.“ „Ach, liebe Eule, du hast gut reden, du musst das ja nicht aushalten. Ich fühle mich ziemlich einsam und verlassen“, sagt Reik. „Ich weiß, dass du so denken musst“, sagt die Eule, „aber ich kann sehen, wozu es gut ist. Ich sehe, dass du es sehr gut machst, wie du es machst. Du bewahrst dir trotz allem immer wieder die Liebe in deinem Herzen. Hab keine Angst, du hast das Schuljahr bald überstanden. Dieses Lernprogramm steht zwar nicht auf dem Stundenplan der Schule, aber es ist genauso wichtig für dein Leben. Später einmal wirst du ein Lehrer sein, der von den Schülern geliebt werden wird, weil er so viel Verständnis für diejenigen aufbringt, die leiden. Du wirst auch die Kinder, die anderen Leid zufügen, dazu bringen können, sich zu ändern und zu lernen, Verständnis für ihre Klassenkameraden aufzubringen. Ich sage dir, du machst es sehr gut, wie du es machst.“ Die Eule schweigt einen Moment lang, aber Reik antwortet nichts. Dann fährt die Eule fort: „Später einmal wirst du den Kindern erzählen, dass du als Kind auch oft geglaubt hast, nicht so normal wie andere Kinder zu sein, bis dir eine weise Eule im Park erzählte, wozu dein Leben diente, nämlich dazu, später einmal Menschen zu helfen. Du kannst ihnen dann sagen, dass du nach dem Gespräch mit der Eule den Mut aufgebracht hast, deinen eigenen Weg weiter zu gehen und an dich zu glauben. Aber jetzt, Reik, bekommst du zusätzlich die Möglichkeit, einen ganz anderen Weg zu wählen. Du sitzt ja jetzt auf der Wohlfühlzauberbank, auf der dein Wunsch, so wie deine Mitschüler zu sein, trotzdem in Erfüllung gehen kann.“ Wieder schweigt die Eule einige Augenblicke lang, aber Reik sagt wieder kein Wort, obwohl er nachdenkt, das kann ich ganz deutlich an seinem Stirnrunzeln sehen. Dann spricht die Eule weiter: „Du wärest dann nicht mehr so schüchtern, könntest besser lernen, wärest angesehener bei deinen Mitschülern, aber du würdest auch so handeln und so sein wie sie. Kinder, die schüchtern sind und nicht so gut lernen, würdest du dann ebenso behandeln und verspotten, wie du es in der Schule selbst erlebt hast. Überlege es dir gut, was du möchtest. Jede Entscheidung, die du triffst, wird mir recht sein. Ich weiß, dass es sehr schwer ist, sich zu entscheiden.“ Reik überlegt sehr lange. Wieder runzelt er die Stirn. Und dann fragt er: „Wenn ich mich entscheiden würde, zu bleiben wie ich bin, könnte ich mich dann immer an unser Gespräch auf dieser Wohlfühlzauberbank erinnern?“ „Ja, du wirst unsere Begegnung nie vergessen, egal, ob du dich so oder so entscheidest“, versichert ihm die weise Eule. „Weißt du, Eule, es fällt mir wirklich sehr schwer, mich zu entscheiden, denn ich würde so gerne jetzt sofort keine Schwierigkeiten mehr haben, aber ich möchte auch nicht anderen Kindern antun müssen, was ich selbst nicht haben mag. Könnte ich immer wieder zu dieser Bank zurückkehren und dich um Rat bitten?“ „Ja, das ist eine Möglichkeit, die du immer nutzen kannst.“
„Danke für deinen Rat“, sagt Reik mit etwas schwerem Herzen. „Ich glaube, ich will doch lieber bleiben wie ich bin und später einmal ein guter Lehrer werden. Auf Wiedersehen.“ Reik erhebt sich von der Bank und weiß, dass er es schaffen will und auch schaffen wird. Dazu hat ihm das Gespräch mit der weisen Eule verholfen, und auch der Mann, der mit ihm dort gesessen hat, erhebt sich nun mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck und nimmt den Jungen an die Hand. Nun sind die beiden Plätze auf der Bank frei. Zwei Frauen und ein Mann stürmen sofort auf die beiden freien Plätze zu, weil sie sich dort hinsetzen wollen. Die Drei kommen sich dabei ziemlich in die Quere, aber keiner will dem anderen Platz machen. Sie beschimpfen sich gegenseitig, zuerst da gewesen zu sein und jetzt ihrerseits das Recht zu haben, auf dieser Bank zu sitzen. Ja, sie beleidigen und schubsen sich, und es wird sehr laut! Schließlich fordern sie von Kimjackin, dass wieder er entscheiden möge, wer zuerst auf der Bank sitzen darf. Kimjackin wird es allerdings zu dumm, denn er will nicht, dass sich Menschen um die Bank streiten. Sie soll doch einfach nur eine zauberhafte Wohlfühlbank sein. Empört steht er auf und verkündet laut: „Ich möchte, dass von jetzt an nur noch friedliche Menschen mit guten Absichten im Herzen diese Bank sehen und benutzen können! Merkt euch das!“ Kimjackins Mutter ist stolz auf ihren Sohn, weil er so mutig ist. Hi-Hui hat diesen Wunsch natürlich gehört und mit einem Huuuiii gibt sie seinem Wunsch die Macht, dass er sich erfüllen kann. [...] (mehr)