Anwendung im Alltag


Frage

Alltag Ellerbäh
Alltag Ellerbäh

"Meine Begeisterung hinsichtlich des Buches 'Jenseits des Himalaya' ist nun schon viele Monate 'gesackt'.

Trotzdem ist es immer noch eines der tollsten Bücher, die ich kenne. Das liegt vermutlich daran, dass ich das Geschriebene mit vollstem Herzen und Verstand so 'abnicken' konnte. Es ist für mich alles so logisch und klar. Und ich finde es eingepackt in die Biographie zudem auch sehr gut lesbar.

Für 'Das Yoga des Christus' habe ich deutlich mehr Zeit gebraucht, um es ganz zu lesen. Ich habe stets nur wenige Seiten geschafft, bevor ich es wieder aus der Hand legte. Letztlich war im 1. Buch schon alles gesagt und im 2. Buch wurde dieses von allen Seiten nochmals beleuchtet und ein wenig vertieft.

Die Frage nach dem Lesen der Bücher bleibt: Wie kann das Gelesene im Alltag angewendet werden? Dies finde ich äußerst schwierig, wenn man mit voller Aufmerksamkeit in seinem Beruf steht – ich persönlich bin Lehrer. Wie gelingt es Ihnen?"

Antwort

Jenseits des Himalaya
Jenseits des Himalaya

In vielen seiner Bücher präsentiert Dr. MacDonald-Bayne verschiedene Übungen, um beispielsweise auf der Grundlage von Entspannung das Gelesene mit Leichtigkeit in den Alltag zu integrieren. Eines betont er dabei immer wieder: Übernehmen Sie sich nicht, nehmen Sie sich nicht zuviel vor!

Viele kennen das: Man liest etwas, das so vollkommen klar und einleuchtend ist und man findet es gleichzeitig schwer, dieses "höhere Wissen" im Alltag zu leben. Der Alltag wirkt störend, wenn man mittels der sehr guten Übersetzung mit Dr. Mac und seinen Begleitern durch das wilde und gleichzeitig erhabene Himalayagebirge in Tibet gereist ist, wenn man mit ihm die Sonnenaufgänge und die Sonnenuntergänge gesehen hat, wenn man das Rauschen der Bäche gehört hat und vor allem, wenn man die "Diskussionen" mit Geshi Rimpoche, seinem Freund und dem Einsiedler von Ling-Shi-La miterlebt hat, als hätte man dabei gesessen.

In einem dieser vielen Bücher führt Dr. Mac das Beispiel zweier Menschen in ihrem Beruf an. Der eine ist ein Arbeiter, der auf einem 50-stöckigen Hochhaus furchtlos glühende Nieten in die Stahlkontruktion schlägt, während der andere, ein Dompteur, in einer Zirkusmanege furchtlos mit Raubtieren umgeht. Beide würden, sollten sie auch nur für einen Tag den Beruf des anderen ausüben, unter Schweißausbrüchen leiden, wenn sie nicht zuvor bereits ohnmächtig geworden sind, dennoch werden sie für ihren Mut bewundert und würden beide sicherlich schlaflose Nächte haben, wenn sie wie Sie, eine Schulklasse leiten sollten.

Gaudeamus Igitur, Lasst uns fröhlich sein
Gaudeamus Igitur, Lasst uns fröhlich sein

Das Geheimnis ist die schrittweise Gewöhnung an das Neue - in einem Beruf den wir lieben. Wir können unser Sein, unsere Spiritualität nicht in der Freizeit leben, nach dem Motto: "Wenn ich zu Hause bin."

Vermutlich müssen Sie nur etwas genauer hinsehen, um zu erkennen, dass sich die Veränderung in Ihnen bereits in der Außenwelt, d. h. in Ihrem beruflichen Alltag wiederspiegelt. Lieben Sie jedes kleine Bisschen an ihrem Beruf: Das erste Mal, wenn sie nach den Ferien vor eine neue Klasse treten, den Stoff, den Sie unterrichten und vor allem die Kollegen und die Schüler. Beobachten Sie das scheinbar Alltägliche, wenn Sie mit Menschen sprechen und was diese Ihnen über sich und letztlich über Sie selbst mitteilen.

Aus den vielen Übungen, die Dr. MacDonald-Bayne in seinen Büchern anbietet, habe ich eines Tages angefangen, das Königreich Ellerbäh (mehr) zu entwickeln - nicht bewusst, das entwickelte sich von selbst, irgendwann. Die Übung bestand darin, am Abend etwas zu zeichnen und es am nächten Tag unvoreingenommen zu betrachten und in all seinen Einzelheiten zu beschreiben - und aus meinem scheinbaren Unvermögen, die Dinge so zu zeichnen, wie ich sie wollte, entwickelte sich mein Vermögen, die Dinge anderntags so zu sehen, wie sie waren, wie ich sie dann sah, was ich in ihnen sah, was ich aus ihnen machte, mittels meiner Phantasie, meiner Fähigkeit, mir Geschichten auszudenken, mit Worten zu spielen und ganz nebenbei mich selbst und andere zum Lachen zu bringen. Ja, das war es, was ich so sehr vermisst hatte: Ich wollte spielen!

Ich erinnere besonders drei wegweisende Lehrer in meiner klassischen Schulzeit. In der Grundschule hatten wir einen Lehrer, für den wir in der dritten Klassen nach den Weihnachtsferien Schneeglöckchen mitbringen sollten, die wir dann im Unterrischt untersuchten - und dann in seinem Garten, als er uns in unserem letzten Grundschuljahr nach Hause einlud, sah ich sämtliche Schneeglöckchen jener Kinder blühen, die er je unterrichtet hatte.

Der zweite Lehrer, an den ich mich gern erinnere, war mein gestrenger Lateinlehrer, der die Rückgaben der Klassenarbeiten, wie heute vermutlich nicht mehr erlaubt, derart zelebrierte, dass die besten Arbeiten in seinem Stapel auf dem Pult ganz unten lagen und er eine Stunde lang ausführlich und humorvoll auf die vielen Fehler einging, die er zum Teil in seine Sammlung von Stilblüten eingetragen hatte. Mein Klassenarbeitsheft lag selten weit unten, dennoch erinnere ich den "Latein-Schmidt", den Harten aber Gerechten - Sport gab er auch, durch und durch Spartaner, der von seiner Studentenzeit erzählte, dass er mit seinen Kommilitonen in einer Studentenkneipe namens Semper Idem des Öfteren feuchtfröhlich das Lied "Gaudeamus Igutur"gesungen habe.

Der dritte Lehrer, dem ich viel zu verdanken habe, war mein Englischlehrer im 12. Jahrgang. Als eine Schülerin sich beschwerte, dass sie so viele Vokabeln lernen müsse, lachte er laut und fragte uns, ob uns denn nie jemand gesagt habe, dass es nur 300 Vokabeln gäbe, mit denen wir alles erreichen könnten, selbst ein gutes Abitur. Nee, das hatte uns keiner gesagt. Wenn man nicht wisse, wie eine bestimmte Sache heiße, sagte er, dann könne man sie mit diesen nur 300 Vokabeln einfach umschreiben, was viel wertvoller sei als zufällig eine bestimmte Vokabel zu kennen. Ich glaube, ich mache es mit Liebe.

Thomas Staudt